Mittwoch, 13. Juli 2016

11.06.2016 England-Russland 1-1



Na gut ... da muss ich wieder in die Bresche springen und liefere die Erlebnisse vom ersten Spiel unser Frankreich-Reise nach. Die Fahrt sollte am 10.06.2016 kurz vor 12 per Nachtzug starten. Vorab wohnten wir dem Eröffnungsspiel der EM in einer bekannten Leipziger Sportbar bei und besuchten die legendäre Bahnhofskneipe Gleis 8. Was da für Menschen verkehren ist der absolute Wahnsinn. Ein sichtbar angeheitertes, homosexuelles Pärchen übte sich in Analstimulation und ließ dafür durch den Kneipier den Ton der Musikanlage nach oben regulieren. Um solchen Verstrickungen zu entgehen. schlangen wir hastig unsere Kaltschale hinter und stockten lieber den Reiseproviant noch etwas auf.


Die Nachtzugfahrt lief ganz gut ab, wieder allerhand kuriose Leute. Eine Mumienfrau, 2 Engländer ab Leipzig sowie ein scheinbar Wohnungssuchender, der alle 5 Minuten in seine Geldbörse schaute und dabei immer wieder feststellte, das diese Ebbe anzeigte. Begleitet durch ein "Ach du Scheiße" - gingen die 7 Stunden Fahrt auch irgendwann rum. Legendär übrigens der Ausblick aus dem fahrendem Zug nach hinten raus, macht definitiv was her.




Ein Überraschung stellte die relative Pünktlichkeit des Nachtzugs dar, der uns den Anschlusszug in Freiburg erreichen ließ und wir überpünktlich in Mühlhausen/Mulhouse standen. Dann Streik durften wir einen früheren Zug gen Marseille wählen, also war bei der Hinfahrt alles bestens geregelt. Wir hatten noch 2 Stunden Zeit Mulhouse zu erkunden, ein hübsches Städtchen. Und was viele auch nicht wissen bis zum Versailler Vertrag Zentrum der kaiserlichen Marmeladenproduktion ...







Die Möglichkeit das erste französische Bier zu konsumieren, nutzen wir feierlich gegen 8 Uhr morgens in Mulhouse. Mit dem Ergebnis, dass es für die restliche Reise doch eher Heineken wurde. Im TGV sorgten einige Briten und die sportliche Fraktion von Spartak Moskau dafür, dass der Gerstensaft recht schnell ausverkauft war, so erreichten wir etwas unterhopft schon zeitig Marseille.


Mit dem ÖPNV, der uns über die Tage treue Dienste leistete, ging es etwas außerhalb in unser Hotel, das bereits gut durch Engländer belegt war. Für die Nacht nach dem Spiel warb man groß mit einem EM-Special. Dies stellte knapp den 3,5-fachen Preis des üblicherweise zu entrichtenden Endgeltes dar.




Vorab war schon einiges zu lesen von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Engländern, nordafrikanischen Gange und den Russen. Bevor wir zum Stade Velodrome marschierten, wollten wir uns am Hafen selbst mal ein Bild machen. Vorab: Die großen Ausschreitungen, die dann auch in sämtlichen Medien aufgegriffen wurden, waren bereits vorbei. Was wir noch sehen konnten,  waren flüchtende Engländer, im Zweifelsfall direkt an der Awantura beteiligt waren. Weiterhin eröffnete sich uns ein Flaschenfriedhof, 300-400 Flaschen lagen zertrümmert nahe dem Hafenbecken. Schon die Vorstellung, dass das vor wenigen Minuten alles durch die Luft geflogen ist, erschreckt den alt gewordenen Fussball-Rabauken. Die Polizisten, die eher nach Fremdenlegion aussahen, hatten mit vergleichsweise wenigen Kräften alles im Griff. Im Gegensatz zu den deutschen Kollegen wird da auch gar nicht zimperlich agiert. Lässig wird da mit Pfefferspray oder Ähnlichem hantiert und bei der kleinsten sich andeutenden Unstimmigkeit wird freudig knüppelschwingend ins Auge des Krawalls gestürmt.





In dieser unwirklichen Szene setzten wir uns langsam in Bewegung um Richtung Stadion zu laufen. Für geschmeidige 6 Euro gab es dann auch noch ein Leffe to go, was im Geschmackstest bitterlich durchfiel, aber auf Grund des Preises bis zum letzten Tropfen geleert wurde. Ein Gemüsehandel/Späti sorgte für günstiges Material zum Nachspülen, was Not tat.




Schritt um Schritt kamen wir dann dem Stadion näher, die ewig lange Prachtstraße Avenue du Prado entlang, tauchten wir ein ins EM-Feeling. Durch unser sprachliches Geschick kamen wir auf Englisch oder auch mal Russisch mit anderen Fans in Kontakt und das durchweg positiv. Für 6,50 gönnten wir uns noch ein Edelbier vor dem Stadion und genossen die Atmosphäre. Die Engländer sorgten für den Ohrwurm der nächsten Wochen "Don´t take me home!"- das Video dazu hier.

Kurz vor dem Einlass noch etwas Kommerz im Olympique Marseille Ultrashop betrieben und schwupps ging es durch fast nicht existente Kontrollen ins Stade Velodrome. Auch als Umbau ein absoluter Augenschmaus. Die geschwungenen Formen lassen gar nicht die Idee aufkommen, man sei in einem 0815-Kasten. Das sichtbare Bergpanorama im Hintergrund tut sein übriges für den Wohlfühleffekt. Nächstes Jahr wird die Schüssel auch einen Sponsorennamen tragen, aber dies scheint heutzutage kaum verhinderbar.





Unsere Plätze nahmen wir im zweiten Rang leicht links der Mittellinie ein. Hervorragende Sicht auf beide Fanblöcke war gegeben. Um uns herum allerhand Menschen aus unterschiedlichen Nationen und Klubs: Österreich, Deutschland, Bielefeld, Rostock das war nur das allernähste Umfeld. Wirkt fast so als muss man zu einem Spiel der Europameisterschaft in Uniform erscheinen. Das umliegende Klientel nutzte die Zeit für allerhand Selfies. Während des Spiels saß man dröge da und selbstverständlich wurde bereits 10 Minuten vor Abpfiff das Stadion verlassen. Zumindest hat man einige alkoholfreie 6,50€-Bier genossen. Lobenswert, da wird wenigstens die regionale Wirtschaft unterstützt ;)








Vor dem Spiel eine kleine Zeremonie mit Tänzern, Animation der Zuschauer und feierlicher Präsentation des Ausrichters. Um es den Russen leichter zu machen, hielt man einfach einen Buchstaben falsch herum, um eine Verbindung zum kyrillischen Alphabet aufzubauen. Ein meisterlicher Schachzug der Choreographen.





Als dann die beiden, meiner Meinung nach, sehr gut anzuhörenden Hymnen gespielt wurden, war spätestens das EM-Feeling erreicht und so konnte die Partie starten. Die Russen zu Beginn mit einer Blockfahne als überdimensionierte Nationalflagge. Ab und an knallte auch ein Böller aus dieser Richtung. Ansonsten waren die Engländer gesanglich und zahlenmäßig eindeutig überlegen. Nach anfänglicher Reserviertheit nahmen uns auch unsere englischen Nachbarn auf und akzeptierten uns als Unterstützer der Three Lions. Vielleicht fanden sie es einfach nur cool auch mal wieder eine Partie im Stehen verfolgen zu können.








Die Partie bot das, was die beiden Mannschaften auch im weiteren Turnierverlauf auszeichnen bzw. eher nicht auszeichnen sollte. Russland sehr unauffällig und eigentlich nicht in der Verfassung für ein großes Turnier. Die Engländer hingegen, spielten eigentlich ganz vernünftig bis der gegnerische Strafraum in Sichtnähe kam. Da wurde es dann sehr einfallslos. Gegen tief stehende Mannschaften fand England ohnehin keine Mittel.








Die Fans waren da schon deutlich am Verzweifeln. Gerade vom ewigen Rooney hatten sich die Insulaner mehr erwartet. Bezeichnender Weise fiel due Führung vor England per direkten Freistoß. Ein schöner Strahl von Eric Dier. Der Torjubel vom Fanblock war dann mindestens ekstatisch. Da das Spiel bereits weit voran geschritten war, rechnete niemand mehr mit dem Gegenschlag der Russen. Aber der kam und wie...



In der Nachspielzeit sorgte Berezutskiy per Kopf für den Ausgleich, wie in Zeitlupe senkte sich der Ball ins Tor und ließ die Britten erstarren. Aber auch nicht weiter verwunderlich, denn England konnte bei einer EM noch nie das Auftaktspiel gewinnen.



Bei Abpfiff setzten dann auch die russischen Fans zum großen Gegenschlag an. An die 200 Mann stürmten ohne Vorankündigung auf die Engländer zu. Dies flüchteten aus dem Block teils mit Todessprüngen über die Reling in den Innenraum. Während dieses Angriffes konnten die Russen 5-6 Zaunfahnen erbeuten. Nach ca. 3 Minuten war diese gespenstische Szene vorbei und die Lage wieder unter Kontrolle.





Nach dieser Aktion war es dann auch Zeit für uns das Velodrome zu verlassen, im Innenleben sieht der Fussball-Tempel eher noch nach Rohbau aus, aber man kann ja nicht alles haben. Ich nehme an auf Grund der Ausschreitungen am Nachmittag waren die U-Bahnen erstmal gesperrt. So lag ein längerer Fußmarsch vor uns. Ein Supermarktbesitzer wähnte seine Chance und versorgte uns auch nach Ladenschluss noch inoffiziell mit Getränken und etwas Essbaren. Letztlich per Bus erreichten wir ziemlich geschafft unser Hotel, wo bereits einige enttäuschte Engländer ihren Frust bekämpften. Ein halbes Bier später fielen die Augen zu, was auch besser war, sollte es doch am nächsten Tag zeitig nach Nizza gehen.





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